Kommentar: Der klassische Versandhandel hat sein Ende in der Zwangsversteigerung gefunden

von horchposten am in Allgemein

Es gibt manchmal Tage, da wird die Drastik des digitalen Wandels wieder richtig deutlich. Einst war der von Gustav Schickedanz gegründete Quelle-Konzern prägend für den deutschen Versandhandel. Das Herz seiner gigantischen „Versandmaschine“ war ein gewaltiger Gebäudekomplex mit rund 250.000 Quadratmetern im Nürnberger Westen – und jetzt wurde dieses einstige Quelle-Areal zwangsversteigert. Um die Relationen zu verdeutlichen: Wir reden bei diesem Quelle-Versandzentrum über die zweitgrößte leerstehende Immobilie in Deutschland, größer ist nur noch Berlins alter Flughafen Tempelhof. Das müsste doch eigentlich etwas für Amazon oder Zalando sein, schließlich haben die beiden Unternehmen in den letzten Jahren bereits zahlreiche Großversandzentren eröffnet.

Das solche Größe für die expandierenden Online-Riesen attraktiv ist, dachte sich wohl auch ein alter Quelle-Gläubiger, schließlich hat selbst das Amazon-Logistikzentrum in Werne „nur“ eine Fläche von 138.000 Quadratmetern. Die Großbank Credit Suisse erwirkte als Gläubiger daher die Zwangsversteigerung des Areals, ein Gericht setzte dessen Verkehrswert auf über 30 Millionen Euro fest und die Versteigerung wurde wegen der vielen erwarteten Interessenten extra in ein größeres Gebäude verlegt. Doch die Immobilie ging nicht an Amazon oder Zalando, sondern für schlappe 16,8 Millionen Euro an den einzigen anwesenden Interessenten … ein neu gegründetes Tochterunternehmen von Sonae Sierra. Ein neuer Online-Händler? Nein, davon hätte man gehört. In der Shoppingcenter-Branche ist Sonae Sierra dagegen bekannt als Investor, Vermarkter und Manager von Shopping-Flächen. Nach eigenen Angaben gehören dem Unternehmen weltweit 46 Einkaufszentren mit einem Wert von 6 Milliarden Euro – und jetzt auch das einstige Quelle-Versandzentrum in Nürnberg.

Noch zu Zeiten von Quelle hatte Amazon im September 1999 sein erstes durchrationalisiertes Logistikzentrum in Bad Hersfeld eröffnet. Bis 2015 wurden daraus bundesweit 9 Stück mit einer Gesamtfläche von 860.000 Quadratmeter. Und die Expansion geht weiter. Doch sechs Jahre nach der Pleite des Katalog-Versenders ist das alte Quelle-Versandzentrum – mit bis zu sieben Geschossen und kilometerlangen Laufbändern – für Amazon und andere Online-Versender nicht mehr interessant. Wie der klassische Versandkatalog, so ist auch der Gebäudekomplex aus den 50er und 60er Jahre inzwischen unzeitgemäß – zumindest für dynamischen E-Commerce mit modernster Lagerlogistik. Stattdessen soll dort in den nächsten drei Jahren für 300 Millionen Euro ein neues Einkaufsparadies entstehen – direkt neben den Industriebrachen von Triumph-Adler, Grundig und AEG. Was werfen die Kritiker des digitalen Wandels uns Online-Händlern noch mal vor? Wir würden den Einzelhandel zerstören und in den Fußgängerzonen gehen wegen uns bald die Lichter aus? Nun … in Nürnberg wird das in wenigen Jahren wohl eher ein gigantisches Shoppingcenter von Sonae Sierra erledigen.